Versuch einer Antwort auf die Frage: Wie fandest du die Filme? |
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I. Ich muß gestehen, daß ich Peter Jacksons Der Herr der Ringe-Verfilmung nur ein einziges Mal gesehen habe. Und daß es mir von vorne herein gar nicht so wichtig war, wie gut die Filme werden würden. Sicher: Man kann trefflich darüber streiten, ob man Tom Bombadil weglassen darf, ob unbedingt Elben bei Helms Klamm kämpfen müssen, oder ob jeder Film partout eine Liebesgeschichte braucht. Aber für mich trat all das in den Hintergrund vor einem anderen Problem, das mich sehr viel mehr bewegte: Daß die Filme die Bilder meiner bisherigen Vorstellungswelt ersetzen würden. Und leider kam es genau so: Plötzlich spukten mir Viggo Mortensen und Elija Wood im Kopf herum, wenn ich von Aragorn und Frodo las, auch Elronds Haus steht plötzlich woanders und selbst mein Isengard und Lothlorien, Celeborn und Butterblume haben sich nur mit Mühe und Geduld wieder unter den monumentalen Eindrücken des Kinos hervorzerren lassen. Daß der Film die Fantasie so sehr überrollt, liegt daran, daß (zumindest bei mir) Vorstellungen, die sich beim Lesen bilden, sehr fragil sind. Reale Bilder sind nicht einfach andere Bilder als die, die man sich vorstellt, sondern viel voller und wirklicher. Wenn man nur davon liest, wie z.B. drei Bäume an einem Berghang stehen, dann schmückt man das Bild zwar mit eigenen Gipfeln und Konturen und kann z.B. auch sagen, ob man sich Nadel- oder Laubbäume vorstellt, aber man hat nicht klar im Blick, wieviele Grasbüschel zwischen den Bäumen stehen, wie deren Äste und jedes einzelne Blatt (oder Nadel), jede Wolke und jede Flechte geformt sind. Auch wenn man sich Vorstellungen davon jeweils wieder bilden kann, wenn man selbst oder der Text die Aufmerksamkeit darauf richtet. Dann aber gäbe es wieder neue Unbestimmtheiten in immer weiteren Details. Natürlich sind da keine Löcher im vorgestellten Bild - die Löcher wären ja selbst etwas Bestimmtes und klar abgegrenztes. Vielmehr gibt es eben unbestimmte und nur vage bestimmte Stellen, um die Konturen herum, die man sich vorstellt. Und diese Vagheiten fließen, so scheint es mir, mit den vom Autor beschriebenen Kontexten, Stimmungen und Assoziationen zusammen. Und das macht die Vorstellungen der Lesewelt zu einer komplexen Mischung aus visuellen und nichtvisuellen Elementen. Und genau deswegen könnte man sie niemals malen. Egal wie man sie abbildet: es wäre immer falsch. In echten Bildern dagegen ist alles ausgefüllt. Und deswegen sind sie so viel stärker als alle vorgestellten Bilder und gleichzeitig schwächer: weil der nichtvisuelle Anteil verloren geht. Die Filme triumphieren daher als reine Bilder über die Lesevorstellungen, aber als ästhetische Erfahrung sind sie flacher. All dies ist beim Herr der Ringe besonders schade, weil gerade Tolkien in seinen Werken die Effekte der bloßen Andeutung besonders stark nutzt. Es ist ganz wichtig, daß vieles nicht zu sehen ist. Die Schwarzen Reiter sind, wenn man jede Falte ihrer Gewänder sieht, nie so schrecklich, wie wenn man von ihrem schemenhaften Aussehen liest. Desgleichen der Balrog, dessen Aussehen ja (Stichwort: Flügel) von Tolkien fast widersprüchlich beschrieben wird. Dies ist eines der stärksten literarischen Mittel, das auf Filme überhaupt nicht übertragbar ist: daß man einen Eindruck beschreibt, statt den Gegenstand, der ihn auslöst. Tolkien spielt ganz bewußt damit, gerade, aber nicht nur bei den Legenden der Altvorderenzeit: Es ist festgelegt, was man beim Anblick eines Elben fühlt, nicht, wie er aussieht. Im Kino ist es genau umgekehrt. Daher können sich nur in der Fantasie unvollständige visuelle Vorstellungen und die Beschreibung einer Impression überlagern - wie in einem Traum. Und aus diesem Grund hoffe ich, daß zumindest das Silmarillion nie verfilmt wird - oder ich wenigstens dann so standfest bin, es mir nicht anzusehen. Daß das eine relativ radikale Herangehensweise ist, ist mir klar. Vielleicht auch einfach, weil ich kein besonders visueller Mensch bin. Ich will beileibe niemandem die Filme ausreden. Oder die Leidenschaft darüber, sie zu diskutieren, zu verachten oder zu verteidigen. Denn sie haben ihren eigenen Zweck und eigene Stärken. II. Und natürlich habe auch ich meine Meinungen zur Umsetzung der Buchvorlage in bewegte Bilder. Und es geht mir natürlich wie bei jeder Verfilmung: Ich habe das Gefühl, daß einiges an Tiefe fehlt. Das wäre wohl auch so, wenn man künstlerisch mehr gewagt hätte. Doch es hat mir auch gefallen, daß die Handlung nahe an der Vorlage blieb und zumindest nicht das Falsche wagte (Gerüchten zufolge hatte man anfangs den Plan, Arwen mit Anduril als Retterin in der Not in Helms Klamm auftauchen zu lassen). Selbst ohne Tom Bombadil und "The Scouring of the Shire" kann ich leben - nicht weil sie nicht essentiell für das Buch wären, sondern weil ein einfacher Abenteuerfilm eben kein Buch ist. Eigentlich bin sogar froh - siehe oben - Bombadil nie gesehen zu haben. Und doch gibt es mindestens hundert Dinge, die ich gerne anders gesehen hätte: Die nicht von Tolkien stammenden Dialoge zwischen Aragorn und Arwen in "Die Gefährten" erschienen mir sehr platt. Und schrecklich war der Auftritt Saurons am Anfang, nicht nur, weil es ihn weniger schrecklich macht, wenn er auf zwei Beinen daherkommt (wo er doch im Buch nie anders zu sehen ist, denn als fernes Auge). Noch schlimmer ist, daß er den Ring fast als Schußwaffe zu gebrauchen scheint. Das war zweifellos die übelste Szene. Allerdings macht Zaubererduell zwischen Gandalf und Saruman ihr diese Rolle streitig. Magie sollte viel subtiler und ungreifbarer sein, und keine quasiphysikalische Artillerie. Und in die gleiche Kategorie gehört, daß die Moriaszenen zu einer fröhlichen Höhlenprügelei im Stil von Indiana Jones wurden. Im Original war das noch das spannendste und erdrückendste, was ich je gelesen hatte (ich bin nachher nie wieder bei einem einzelnen Wort in einem Buch so erschrocken). Und dann stören mich wirklich der zur Witzfigur verkommene Gimli oder die allzu simplen, korrupten Boromir und Denethor, deren innere Konflikte und Plausibilität verloren gehen. Und dann Kleinigkeiten, die aber wichtig sind: die Idee des Ringes wird nicht verstanden. Daß er in Elronds Rat offen in die Mitte gelegt wird, ergibt keinen Sinn. Er kann nie ohne Besitzer sein. Und wenn doch, hätten die Weisen bei einer solchen Beratung seinen Anblick kaum zugelassen. Doch das hat Jackson wenigstens in Streit umgemünzt. Aber desgleichen, daß Frodo ihn im Schnee verliert und Boromir ihn nimmt und ab diesem Moment wie "angesteckt" ist. Das war nicht nötig und verlagert den Konflikt in Boromir auf eine äußere Ursache. Auch der auffliegende Nazgul vor Frodo gehört in diese Kategorie: eine solche Konfrontation darf es an jener Stelle nicht mehr geben, wenn der Ringträger unentdeckt bleiben soll. Und natürlich ist einiges ein bißchen zu groß geraten, v.a. die Heere und Schlachten in Helms Klamm und auf den Pelennor-Feldern. Oder der schrecklich unplausible Winkel, in dem Erkenbrands Truppen sich in die Schlacht stürzen. Vielleicht wird man in einigen Jahrzehnten sagen: "Damals kamen die computergenerierten Massenszenen gerade auf, da hat man es halt etwas übertrieben". In diesem Fall ist es schade, daß die Verfilmungen gerade in diese Zeit fallen mußten. Ein wenig Lob auch: Die Schauspieler und Gegenden sind optisch meist gut ausgewählt. Keiner, außer vielleicht Elrond, hat in mir das Gefühl ausgelöst, überhaupt nicht zu passen. Und noch ein nicht zu geringes Lob: Das ist momentan alles, was mir an Kritik zu den Filmen einfällt. |